Aufruf gegen den traurigen Alltag

João Valadares hat in seinem Blog "PEBodyCount" eine Reflexion veröffentlicht, die ich gerne einmal in voller Länge in übersetzter Form wiedergeben möchte:

"Provocação - Provokation

Immer sie, unsere geliebte Mittelklasse, zu der ich mich auch zähle. Werden wir aufgeschreckt, schreien wir.

Zersplittert unser Glas, vergessen wir unsere ochsenartige Passivität und schreien in alle vier Winde, wie absurd es ist in Recife zu leben. "Wir haben keine Polizei, wir haben nichts hier. Wir können nicht aus dem Haus gehen. Wo bleibt der Pakt für das Leben (o Pacto pela Vida)? Wenn es mich getroffen hat, schreie ich. Ich komme aus Espinheiro, Aflitos, Casa Forte, Rosarinho (Anm.: Viertel der Wohlhabenderen), ich schreie.

Aber, aus meiner demütigen Sicht als Mitglied dieser recifensischen Rasse, glaube ich, dass wir erst das Gewaltproblem beginnen werden zu ändern, wenn es uns gelingt über jeden Toten zu weinen. Diejenigen, die versteckt an der Peripherie unserer Stadt sterben, die nicht einmal eine Fussnote in unseren Zeitungen erhalten, wenn sie 2 Schüsse in den Kopf bekommen haben. Und das sind nicht wenige. Wir sollten uns dann genauso verhalten bei dem, was in Coelhos, Ibura, Coque, Iputinga und vielen anderen versteckten Orten der Schande passiert.

Wir müssen den Schmerz der 69-jährigen Inês Maria da Silva, Bewohnerin von Coque, mitfühlen. Sie hatte unter verschiedenen Umständen 5 ermordete Söhne und einen getöten Neffen zu beweinen. Alle in Coque. Jedes Mal von neuem spazierten die Mörder durch die Strassen ihres Hause und machten sich einen schönen Tag. Es ist eine gute Übung, uns mit etwas zu beschäftigen, das uns fern scheint. Etwas tun für etwas, das uns nicht betrifft. Zeigen wir das jeden Tag. Wenn die Leute sich nicht mehr nur über eine spektakulären Mord in Boa Viagem oder Casa Forte aufregen, dann wird meines Erachtens die grosse Wende beginnen. Wir brauchen uns nicht an den Schmerz der Cariocas (Anm.: Bewohner von Rio de Janeiro) und Paulistas (von Sao Paulo) zu halten. Es gibt in Pernambuco ein immenses Leiden. Das muss man fühlen (É preciso sentir).

Um das klarzustellen: Ich verteidige hier nicht den Klassenkampf. Ich verteidige nicht, dass die Banditen Strassen sperren, in welchem Viertel das auch sei, Bewohner ausrauben. So ist es nicht. Im Gegenteil. Ich sage nur, dass Recife sich kennen lernen muss. Dass es sich mit der unbequemen Geschichte von Márcia Maria Gomes, einer armen Frau von 47 Jahren, Bewohnerin von Ibura, belasten muss. Jeden Tag geht sie zum IML um die Beine der Toten zu prüfen, damit sie den Körper ihres Sohnes finden kann. Mehr als 3 Monate und nichts. Keine polizeilichen Nachforschungen. Und sie macht es immer wieder, allein, tut das, was die Regierung nicht tut. Aber niemand weiss was. Niemand interessiert sich.

Ich schreibe dies, um zu sagen, dass ich den allgemeinen Aufschrei seltsam finde, wenn Diebe uns Handys und Brieftaschen klauen und gleichzeitig ein tiefes Schweigen herrscht, wenn täglich 8, 9, 10 Personen in unserem Staat ermordet werden. Auf einer Strasse in Rosarinho werden 8 Autos überfallen: Schlagzeilen, Nachrichten an jeder Ecke. Wissen wir, das zur gleichen Zeit, in Muribeca-Rua, Jaboatão dos Guararapes, 3 Mütter 10 Söhne verloren? Niemand weiss es."

Der Zähler für die Morde in Pernambuco steht heute auf 3.885 Opfer in diesem Jahr.

Bild:
Inês Maria da Silva fotografiert von Marcos Michael/JCImagem.

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