Warum mir der Krieg in Rio Hoffnung gibt

Rio de Janeiro macht zur Zeit wieder Schlagzeilen. Der Stadt hat den Drogenbanden den Krieg erklärt und ist dabei, eine weitere Bastion der kriminellen Banden zu stürmen. Diesmal ist der "Complexo do Alemão" (Komplex des Deutschen) im Visier der Polizei. 21.000 Polizisten haben das Viertel abgeriegelt. Seit vergangenen Sonntag wurden 96 Fahrzeuge angezündet, 44 Waffen und 8 Granaten beschlagnahmt sowie große Mengen Drogen und entzündbares Material sichergestellt. Bis heute wurden 192 Gefangene gemacht und es gab 25 Tote in den Auseinandersetzungen. Es gibt noch ein Fluchtweg aus dem Viertel, den die Polizei bisher nicht abriegeln konnte, aber die Polizei ist gewillt weiterzumachen, bis sie die Kontrolle über das Viertel hat.

Es gibt Leute in Rio, die der Krieg mit den Drogenbanden glücklich macht. So die bloggende Journalistin vom "Jornal do Brasil", Deborah Lannes, deren Meinung ich hiermit wiedergebe:

"Ich habe fast mein ganzes Leben in São Conrado (Stadtviertel von Rio) gelebt. Als ich noch klein war, war dies ein Ort von ausserordentlicher Schönheit und ohne jede Infrastruktur. Die Näher zur (Favela) Rocinha war vollkommen natürlich. Ich erinnere mich an die Strasse, über die meine Mutter und ich die Favela durchqueren mussten, um in das Haus einer Schneiderin auf dem Hügel zu kommen. Diese flickte meine Kleider, während ich den Hühnern zusah, die auf dem Boden herumpickten. Meine Mutter hielt ein Schwätzchen mit der Frau, die dabei die Maschine bediente und nähte.

In jener Zeit gingen ich und meine Schwestern am Wochenende zum Haus von Raimunda, einer Person, die den besten Reis mit Bohnen auf der Welt machte. In dieser anderen Favela von Rio liessen wir Drachen steigen, machten Seifenkisten-Rennen und liefen barfuß. Verglichen mit den geschichtlichen Dimensionen ist das eine kurze Zeit her. Es war Anfang der siebziger Jahre.

Heute spreche ich noch oft mit Raimunda, die jetzt als Rentnerin in ihrem Haus wohnt. Aber die Lage hat sich sehr zum Schlechten geändert. Manchmal spricht sie am Telefon sehr leise. Ich höre die Schüsse im Hintergrund und merke die Angst in ihrer Stimme. Trotzdem gibt sie zu verstehen: "Ich wünschte mir, du wärest hier. Ich habe ein gutes Essen zubereitet. Ich habe im Haus einiges verändert. Ich möchte es dir gerne zeigen...". Sie ist eine Person, zu der ich viel Zuneigung empfinde, denn sie ist Teil meines Lebens.

30, 40 Jahre sind vergangen. Der Unterschied zwischen gestern und heute ist abgrundtief. Aber zwischen all den verbrannten Omnibussen, den mächtigen gepanzerten Fahrzeugen, den grimmigen Blicken und den dreisten Banditen, beschleicht mich eine unwahrscheinliches und unerwartetes Gefühl. Ich habe das seltsame Gefühl einer Erleichterung, von dem aus ich inmitten eines Krieges den Beginn einer Entwicklung erkennen kann, an deren Ende Rio seine wahrhafte Seele wieder findet".

Siehe auch Blogbeiträge:
Die Schlacht am Morro dos Macacos
Brasilianische Polizei kann die Finger nicht von Selbstjustiz lassen
Favelas einmauern und Stadtwald abholzen
Krieg ohne Ende in Rio de Janeiro

Jornal do Brasil - Rio - Megaoperação da Polícia conta com 21 mil homens
Por que a guerra do Rio me traz tanto alívio

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