Die Machenschaften des Herrn Sergio Moro, des angeblichen Kämpfers gegen die Korruption

Über Sergio Moro, den Untersuchungsrichter, der den Ex-Staatspräsidenten Lula da Silva in einem windige Prozess kurz vor den brasilianischen Präsidentschaftswahlen zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt hatte, habe ich mehrfach berichtet. Von oberflächlichen Beobachtern und bestimmten brasilianischen Medien wurde er als ein unparteiischer und kompromissloser Kämpfer gegen die Korruption gefeiert. Dieser Ruf erhielt eine erste Delle als Moro als Justizminister in die Regierung Bolsonaro eintrat. Hier zeichnete sich schon ab, warum Moro es so eilig hatte - im Verein mit einschlägigen Kreisen in Brasilien - Lula noch rechtzeitig ins Gefängnis zu setzen.

Die Sache analysiert tiefergehender Gaspard Estrada, Experte in lateinamerikanischer Politik der New York Times in einem Beitrag, den ich hiermit übersetzt wiedergebe:

Brasilien erlebt zur Zeit viele Krisen zur gleichen Zeit. Es verwandelt sich momentan in eines der weltweiten Epizentren der Pandemie und gleichzeitig vertieft sich täglich die politische Krise.

In diesen letzten Wochen sind mindestens vier Minister der Regierung von Bolsonaro zurückgetreten oder wurden dazu gezwungen. Der vielleicht herausfordernste Rücktritt für den Präsidenten war des Justizministers, Sergio Moro. Bei seinem Rücktritt beschuldigte er öffentlich Bolsonaro bei der Bundespolizei politisch zu intervenieren. Auf diese Weise machte der Ex-Richter, der die Operation gegen Korruption im Lava Jato-Verfahren geleitet hatte - klar, dass er weiterhin die Aufgabe des "Justizvollstreckers" Brasiliens, die ihm soviel Ruhm eingebracht hatte, verfolgen werde.

Damit begibt sich Moro aber auf ein sehr sumpfiges Gelände. Im Hintergrund dieses plötzlichen Wechsels des Star-Ministers von Bolsonaro zu seinem Verfolger, gibt es eine Paradoxie, die die Brasilianer nicht aus dem Auge verlieren sollten: 2017 verurteilte Moro in seiner Funktion als Richter den Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva und seine Aussage "Das Gesetz gilt für Alle" wurde dabei populär. Aber als einige Zeit später herauskam wie der Ex-Richter die abgegebenen Zeugenaussagen manipuliert hatte und dass er Beweise beim Prozess vor dem Obersten Gericht  unterschlug - er veruteilte Lula da Silva für "unbestimmte Amtsdelikte" mit der Zustimmung des Berufungsgerichts von Porto Alegre, das ihm zustimmte, dass man für die Operation Lava Jato nicht die normale Strafporzessordnung anwenden müsse, da wurde klar, dass für ihn das Recht doch nicht gleich für alle ist.

Deshalb kann man bei der Beschuldigung Moro's, Bolsonaro politisiere die Justiz, indem er durch einen Zugriff bei der Bundespolizei Informationen über laufende Verfahren bekommen  wolle, die Ironie des Ganzen nicht übersehen.

Obwohl es unerlässlich ist, die Versuche einer Einflussnahme von Bolsonaro auf autonome Gerichtsorgane zu untersuchen, so müssen die Justiz und die Bürger trotzdem hartnäckig die Methoden von Moro in seinem Kreuzzug, die er als Richter gegen die Korruption geführt hat, hinterfragen. Auch sein Schweigen und die Kumpanei als ein Teil der Regierung Bolsonaro muss geprüft werden.

Die Enthüllung der Verbindungen der Familie des Präsidenten zu den Milizen, die einen guten Teil Rio de Janeiros kontrollieren und die Versuche des Präsidenten, die Untersuchungen der Justiz zu torpedieren, machen die Beschuldigungen des Moro glaubhaft. Trotzdem, das was der Ex-Richter der Öffentlichkeit - und auch den Polizisten, die ihn vor kurzem befragt hatten - nicht mitteilte, ist, dass nach einigen journalistischen Recherchen er selbst von seinen politischen Einfluss als Minister Gebrauch machte: Im Einvernehmen mit Bolsonaro gab ihm Moro vertrauliche Informationen über laufende Ermittlungen der Bundespolizei, die Mitglieder der Regierung betreffen könnten, weiter.

Zudem gab es vor seinem Eintritt in das Kabinett Bolsonaro, während seiner Richterzeit klare Zeichen, dass er den Rechtsstaat nicht zu respektieren gewillt ist. Als mit den Untersuchungen in der Affäre Lava Jato Beauftragter, sah er kein Problem darin, die wenigen Personen, die ihn damals kritisierten, - was da waren Journalisten, Rechtsanwälte und Mitglieder Akademie - einzuschüchtern und zu bedrohen. Obwohl Nichtregierungsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen oder die brasilianische Rechtsanwaltskammer wegen der Methoden von Moro protestierten, hielt er damals seine Praktiken bei und spionierte zudem illegal Telefongespräche zwischen Rechtsanwälten und ihren Kunden aus, um wegen deren Strategie informiert zu sein.

Statt seinen Rücktritt einzureichen, beschränkte sich Moro darauf sich beim Obersten Gerichtshof zu "entschuldigen". Diese Strategie ist ein übliches Verfahren in der Regierung Bolsonaro: Man gibt einen Teil der Schuld zu, hat aber keine gerichtlichen Konsequenzen zu befürchten. Der Minister für das Bürgertum (Ciudadanía), Onyx Lorenzoni, entschuldigte sich dafür, illegale Wahlkampfspenden erhalten zu haben. Statt eine offizielle Untersuchung durch die Bundespolizei einzuleiten - unter seiner Führung -, erklärte Moro seine "Bewunderung" für seinen Kollegen, dass er "sein Vergehen eingesehen hat und Maßnahmen getroffen hat, um seine Fehler zu beheben". Jair Bolsonaro selbst hat auch schon um Entschuldigung gebeten (als er kürzlich einer Journalistin befahl, das Maul zu halten) ohne dass das Folgen gehabt hätte.

Als Minister der Regierung Bolsonaro sagte Moro nichts zu verschiedenen Angriffen auf die Demokratie. Er sagte auch nichts als der Präsidenten bei wichtigen Staatsorganen eingriff, mit der Absicht sie zu kontrollieren. Auch dann nicht als der Fiskus und die Geheimdienste nach und nach dem Umfeld von Bolsonaro unterstellt wurden. Dazu kommt, dass er einige Tage vor seinem Rücktritt dem Präsidenten einen legalen Weg empfahl, um die Zuschüsse zur Überwachung des brasilianischen Institutes zum Schutz der Umwelt verringern zu können.

Man muss sich wieder einmal erinnern: Anfangs 2018, als Moro die Einladung, Teil der Regierung Bolsonaro zu werden, annahm, schien er das so zu verkaufen, dass die Idee seines Regierungseintritts eine Garantie für den Respekt gegenüber dem Rechtsstaat sei. Dank der Enthüllungen des Journalisten Glenn Greenwald und des Archivs des Lava Jato wissen wir jetzt wie seine Vorstellung vom Rechtsstaat aussieht: Absprachen zwischen Richter und Anklage, Einseitigkeit der Untersuchungen, Manipulation von Zeugenaussagen und finanzielle Motive unter dem Banner der "Anti-Korruption". Als diese Informationen bekannt wurden, nutzte Moro diesselbe Strategie wie sein Präsident: Die Journalisten als Kriminelle zu verdächtigen und Beweise zu zerstören.

Jetzt, nachdem er aus der Regierung ausgeschieden ist, hat Moro die Vorteile des Rechtsstaates und der Pressefreiheit, bei der er selbst beigetragen hat sie in Gefahr zu bringen, wiederentdeckt. Das sollten wir nicht vergessen. Heute ist die brasilianische Demokratie in Gefahr. Obwohl Moro recht getan hat, zurückzutreten und mögliche Rechtsverstösse des Präsidenten anzuzeigen, muss die brasilianische Justiz sobald wie möglich Untersuchungen über seine Methoden als Richter und Minister einleiten.

Wenn Moro selbst die Demokratie in seinem Land verteidigen  und vermeiden möchte, dass die autoritären Rückschritte die brasilianische Dystopie vertiefen, dann muss er auf alle seine politischen Ambitionen verzichten und anerkennen, dass man nicht gegen die Korruption kämpfen kann, indem man korrupte Methoden anwendet. Eine Entschuldigung reicht nicht.

Siehe auch

Brasilianische Justizokratie macht Politik

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Betontürme von Barcelona: Auch Betonschrott macht anhänglich

In Treue fest zum Atom

Der Mindestlohn in Spanien durchbricht die 1.000 Euro-Grenze