Spanische oberste Justiz torpediert Menschenrechte und den gesellschaftlichen Zusammenhalt Spaniens

Der spanische Verfassungsrechtler Joachim Urías schrieb vor kurzem,  dass sich eigentlich niemand mehr für die Urteile des Verfassungsgerichts in der Sache der Volksbefragung zur katalanischen Unabhängigkeit interessiere, weil klar sei, dass diese immer gegen die Katalanen ausgehe.

Das Verfassungsgericht hatte vor kurzem die Verfassungsbeschwerde des wegen der Volksbefragung seit 4 Jahren inhaftierten katalanischen Politikers Jordi Sanchez abgelehnt. Einen Vorteil hat das für Sanchez, er kann jetzt seinen Fall dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorlegen, der die Rechtslage wesentlich differenzierter sieht wie die spanische Justiz.

Ignacio Escolar, Chefredakteur der spanischen Internetseite "Diario.es" schreibt zum Zustand der Justiz in Spanien (insbesondere den beiden obersten Gerichten, dem Tribunal Constitucional und dem Tribunal Supremo): "Es gibt in Spanien ein Problem mit der Gewaltenteilung. Es ist aber nicht die Regierung, die sich Kompetenzen angemaßt hat, die ihr nicht zustehen, sondern es ist die Justiz selbst, die sich Funktionen anmaßt, die ihr nicht zustehen,  indem sie Politik macht und damit ihre Kompetenzen überschreitet."

Der harte Kern des Obersten Gerichts (Tribunal Supremo) besteht aus 6 Richtern, von denen 5 von der konservativen Partido Popular während deren Regierungszeit mit Hilfe des Obersten Richterkollegiums ins Amt geschleust wurden. Sie sind bekannt für ihre nationalkonservative und reaktionäre Gesinnung und parteiische Rechtsprechung. Seit Monaten verhindern sie im Verbund mit der jetzt in der Opposition befindlichen Partido Popular eine anstehende Erneuerung des Richterkollegiums, obwohl es in Spanien eine progressive Regierung unter Führung der sozialistischen Partei PSOE gibt und die Neubesetzung des Obersten Gerichtes ansteht.

Diese Regierung möchte jetzt einen Versuch unternehmen,  den Katalonien-Konflikt zu entschärfen, indem es die inhaftierten katalanischen Politiker, die knapp 4 von ihren insgesamt durchschnittlich 11 Gefängnisjahren abgesessen haben, begnadigt. Begnadigungen sind nach spanischem Recht möglich, sie gewährt der König auf Vorschlag des Justizministers bzw. der Regierung. Auf der konservativen Seite wurde allein durch den Gedanken, dass die Katalanen begnadigt werden könnten, ein Empörungssturm entfesselt. Hinzu kommt noch die Stellungnahme des Verfassungsgerichts, das eine Begnadigung ablehnt.

Es zeigt wie tief der Hass zwischen den zentralistischen Kräften in Madrid und den nach Unabhängigkeit strebenden Katalanen ist. Denn begnadigt wurden sowohl die Putschisten des Jahres 1981, die konkret einen Staatsstreich versucht hatten als auch andere Politiker, die ihre Befugnisse im Kampf gegen den Terrorismus mißbraucht und zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren. Dass nun ein Gnadenerweis gegenüber den katalanischen Politikern, deren "Verbrechen des Aufstandes" von europäischen Gerichten nicht als solche angesehen wurden, auf hysterisches Geheul in den immer noch sehr einflussreichen reaktionären Kreisen in Madrid stößt, zeigt mit welch zweierlei Maß in Spanien immer noch gemessen wird. Der König, der als Staatsoberhaupt vermitteln könnte, hat sich durch bisher demonstrierte Parteilichkeit als Versöhner ausgeschlossen.

Die ehemals "liberale" Zeitung El Pais hat in einem Editorial am Sonntag, den 30. Mai, versucht die Begnadigung zu begründen als letztes Mittel, um die Unabhängigkeitsbewegung zu bekämpfen. Die dabei angeführten Argumente sind aber auch nur eine Bauchnabelschau des Madrider Zentralismus. Letztendlich geht es darum die Führer der Unabhängigkeitsbewegung erst einmal völlig klein und demütig zu machen und ihnen dann vielleicht den Gnadenerweis zu geben unter der Bedingung, dass sie sich nicht wieder politisch betätigen und keine Ämter mehr annehmen. Es wird nicht der geringste Versuch unternommen, die ganze Angelegenheit aus katalanischer Sicht zu sehen und zu verstehen.

Der Zentralismus und die sich auf ihn stützende Monarchie sind das grundlegende Problem Spaniens. Eine Tatsache, die die Eliten, auch aus der sozialistischen Partei PSOE nicht wahrhaben wollen. Spaniens Regionen haben ihre eigenen Geschichten und Traditionen, sie wollen nicht von einer Zentrale wie Madrid fremdbestimmt werden. Um dem zu entsprechen wurde nach Franco's Tod eine staatliche Neuorganisation über sogenannte "Autonomias" gegen heftigen Widerstand der Franco-Faschisten durchgeführt, wobei in Wikipedia (spanisch) gemeint wird, dass Spanien damit ein "quasi Bundesstaat" sei. Dass dies nicht einmal in Ansätzen stimmt, hat der Umgang mit der katalanischen Regierung nach den Unabhängigkeitsreferendum gezeigt.

Hier noch einmal "diario.es", eine der wenigen spanischen Medien, das sich bemüht objektiv in diesem Konflikt zu berichten, zur negativen Stellungnahme des Verfassungsgerichts:

"Bei diesem Verfassungsgericht, in der die Konservativen eine absolute Mehrheit haben, war es schon von vornherein klar, dass es "nein" zu einer Begnadigung der Beteiligten an der Volksbefragung geben wird. Und das, obwohl es Präzedenzfälle gab, bei denen es in weit schwerwiegenderen Fällen eine Befürwortung gab: Das Oberste Gericht hatte im Fall der Putschisten von 1981 eine Begnadigung befürwortet.
Somit war es jetzt ein erwartbarer negativer Bescheid. Nicht erwartbar waren die benutzten Argumente, noch die Art und Weise wie er veröffentlicht wurde, noch die Begründung dazu.


Zuerst einmal, dass die 12 Anträge auf Begnadigung in einer Stellungnahme abefertigt statt dass über jeden Antrag einzeln entschieden wurde, so wie es die Verfassung verlangt.
Des weiteren begründet das Gericht seine negative Stellungnahme damit, dass bei den Gefangenen keine Reue erkennbar sei und ihre Halsstarrigkeit der beste Grund dafür biete, eine Begnadigung als eine inakzeptable Lösung anzuführen. Das Gericht tut damit so wie wenn eine "Reue" Voraussetzung für die Begnadigung wäre, was weder das Gesetz noch die bisherige Rechtsprechung verlangt. Beim Putschist Tejero, der seine Tat nie bereut hat, begründete das Gericht die Befürwortung der Begnadigung mit dem Argument, dass man die "Gesellschaft zusammenführe und die Vergangenheit hinter sich lassen wolle".

Des weiteren widerspricht sich das Gericht selbst, indem es im Gegensatz zu der Tatsache, dass die katalanischen Politiker wegen "Aufruhr" verurteilt wurden, jetzt wieder davon spricht, dass es sich um eine "Rebellion" handle. Ersteres ist ein gewaltfreier Tatbestand (der hier zutraf) und der zweite Tatsbestand wäre mit Gewalt verbunden.

Auch in einem anderen Bereich begibt sich das Gericht auf rutschiges Gelände: Es behauptet, dass eine Begnadigung einer "Selbstbegnadigung" entspreche, da die Partei ERC, aus der einige der Gefangenen kommen,  gelegentlich die Regierung bei Gesetzesvorhaben unterstütze."

Schlussfolgerung:
"Das oberste Gericht überschreitet in dieser Stellungnahme seine Kompetenzen. Es macht Politik. Es überschreitet seine Grenzen. Es ist nicht seine Aufgabe die politische Zweckmässigkeit einer Begnadigung zu prüfen.
Aber das ist alle nichts neues. Der wirkliche Grund weshalb sich die Oppositionspartei Partido Popular (PP) weigert, bei der Renovierung des Selbstverwaltungsorgans der Richter mitzumachen ist,  dass das Verfassungsgericht die Richter des Obersten Gerichts unter dem Mantel der Geheimhaltung ernennt. Der Sprecher der PP sagte es mit aller Offenheit: "Wir wollen die Ernennungen durch diese Hintertür unter Kontrolle halten.""

 

Siehe auch 

Tollhaus Spanien und das Rechtsverständnis der spanischen Eliten 


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