Die britischen Tories schreiben sich den Brexit schön und hoffen auf die Dummheit ihrer Volkes

Premierminister Boris Johnson und seine ihm ergebene Schar von der konservativen Partei müssen ganz schön verzweifelt sein, wenn sie sich dazu gezwungen sehen, den Brexit in einem Druckwerk namens "Benefit of Brexit" als Riesenerfolg hinzustellen, obwohl in Großbritannien kaum einem verborgen bleibt, dass er ein Riesendesaster ist. Aber das Schwadronieren und Schönreden liegen ja Johnson und seiner Gefolgschaft im Blut. 

Im Vorwort beschreibt Johnson das Ziel dieses Erfolgsberichts: "Dieses Papier beschreibt wie wir ihn (den Brexit) nutzen wollen. Indem wir uns von 40 Jahren EU-Mitgliedschaft abnabeln, indem wir beibehalten, was funktioniert, ändern was nicht funktioniert, neue Industrien förden, ältere neu bleben und tatkräftig die britische Flagge auf der Weltbühne wieder aufrichten."

Natürlich macht so etwas neugierig, auch wenn man auf Grund der bisherigen Nachrichtenlage denkt, dass es schwer sein muss diesen Brexit schön zu reden.

Gottseidank ist zu Beginn der Erfolgsbilanz eine Übersicht unter dem Titel "Our Achievements so far", also "Das was wir bisher erreicht haben" vorangestellt. Schon der erste Blick darauf zeigt, es sind nur die alten Schlagworte des Brexit-Wahlkampfes, die vor Zuversicht und Hurra-Patriotismus nur so strotzen. 

Beginnen tut es mit

"Wir haben die Freizügigkeit beendet und die Kontrolle über unsere Grenzen zurück erhalten"

In diesem Satz stecken eine Menge Unterschlagungen. Die Kontrolle über ihre Grenzen hatten die Briten ja immer, nur gab es die Freizügigkeit für EU-Ausländer sowie es ja auch die Freizügigkeit der Briten in der gesamten Europäischen Union gab. Viele Briten beweinen jetzt, dass sie dieses Recht verloren haben. Sie müssen sich wieder in Ausländerämtern der EU-Staaten anstellen und wenn sie einreisen, werden sie wie Menschen aus nicht-EU-Staaten behandelt. Das ist für viele ein sehr schmerzhaftes Erlebnis, zumal der Kontakt mit Kontinentaleuropa sehr intensiv war. Das als Erfolg zu verkaufen, da braucht man schon ein sehr gut manipuliertes Volk.

Weiter gehts mit

"Wir haben die demokratische Kontrolle über unsere Gesetzgebung zurück"

Es ist ganz neu, dass die Briten keine Kontrolle über ihre Gesetzgebung hatten. Diese Aussage muss man fast so auslegen, dass Großbritannien eine EU-Kolonie war. Ein kleiner Teil der Gesetzgebung stammte aus EU-Richtlinien, an denen sie selbst mitgewirkt hatten. Für den weit überwiegenden Teil der Gesetzgebung waren und sind sie selbst verantwortlich.

"Wir haben das Oberste Gericht des Vereinigten Königreichs wieder als letzte Instanz für die Entscheidung über unser Recht eingesetzt"

Auch hier trifft es in erster Linie die Tatsache, dass über Gemeinschaftsrecht letztendlich ein Gericht der Gemeinschaft entscheiden musste. Aber noch mehr geht es um Entscheidungen des Europäischen Menschengerichtshofs (EGMR), die gerade von konservativen Kreisen aber auch europäischen Autokraten angefeindet werden, weil sie ihnen nicht in den Kram passen. Der EGMR ist aber kein Gericht der EU, sondern gehört organisatorisch zum Europarat (eine Erfindung der Briten nach dem 2. Weltkrieg), dessen Mitglied Großbritannien weiterhin bleibt, obwohl auch hier von den Konservativen immer wieder versucht wird, einen Austritt ins Spiel zu bringen.

 "Wir haben es für EU-Kriminelle schwerer gemacht in das Vereinigte Königreich zu kommen".

 Ein typisch populistisches Thema, das man eigentlich nur mit Schulterzucken zur Kenntnis nehmen kann. Sie haben es nicht nur einer kleinen Minderheit von EU-Kriminellen schwerer gemacht, sondern der Mehrzahl ihrer "europäischen Freunde", die sie jetzt bei Einreise wieder mit bürokratischem Terror überziehen können.

"Wir haben die Einreisemöglichkeit mit Personalausweis von EU Angehörigen abgeschafft"

Personalausweise wären unsicher und hätten zu Betrug eingeladen. Das gilt scheinbar für Pässe nicht. In der ganzen EU kann man unbürokratisch mit Personalausweisen reisen, nur in Großbritannien nicht. Pässe haben leere Seiten, in die man viele Stempel reindrücken kann. Also: Es geht um eine erhebliche Bürokratisierung der Einreise, die - wenn es tatsächlich Vorteile geben würde - diese vollständig zu nichte macht. Das gilt natürlich umgekehrt auch wenn Briten in EU-Länder reisen wollen: Es wird alles komplizierten in einer Region, in der es bisher einen regen Austausch gab. Aber das verschweigt man mal besser.

 "Wir haben die Kontrolle über unsere Meeresgebiete zurück"

Wie gut das klappt, haben der kürzliche Fischereistreit mit Frankreich gezeigt. Der britischen Fischerei-Industrie geht es schlechter als zuvor, weil das Aufkündigen des Gemeinschaftsvertrages eben auch seine Nachteile hat. 

 "Wiederhergestellter fairer Zugang zu unserem Wohlfahrtssystem"

Die "Fairness" soll darin bestehen, dass EU-Angehörige Nicht-EU-Angehörigen gleichgestellt werden. Diese Behauptung ist ein Witz, denn diese Gleichstellung hat der britischen Regierung ja niemand verboten. Der Hintersinn dieser Behauptung liegt darin, dass man Ausländern es generell schwerer macht an Sozialhilfeleistungen zu kommen. Ein solcher Schönsprech gehört zum Arsenal einer fremdenfeindlichen Politik. Und im übrigen auch hier wieder die Gegenseitigkeit: Briten in der EU werden nun genauso behandelt wie EU-Angehörige von ihrer Regierung behandelt werden.

"Einrichtung eines eigenen Zolltarif-Systems über den UK Global Tariff"

Es bleibt ihnen nach dem Austritt aus der EU auch nichts anderes übrig als ein eigenes System an Zolltarifen aufzubauen. Das ist recht teuer und keiner kann sagen, ob das wirklich mehr Vorteile bringen wird. Derzeit ist es wegen der damit verbundenen Unsicherheit eine Belastung für die britische Wirtschaft und den Warenverkehr mit der EU.

"Zur Verfügungstellung von Mitteln in Höhe von 180 Millionen Pfund, um die Import und Export-Kontrolle zu modernisieren und passend zu machen, indem wir das "Single Trade Window" schaffen"

Auch das eine Ausgabe, die sie sich hätten sparen können. Ob das "Single Trade Window" etwas bringen wird, das wissen nicht einmal die Fachleute. Es ist ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft.

"Überprüfung von noch vorhandenen EU-Regelungen und gegebenenfalls deren Überarbeitung"

Noch eine Form der Mehrarbeit und die Eröffnung der Möglichkeit, dass man die Regulierungen für die Reichenkaste überarbeiten kann, dass aber der Normalbürger letztendlich nichts davon haben wird. Nicht umsonst waren die EU-Regelungen im sozialen Bereich den Konservativen ein Dorn im Auge.

 "Wir haben unseren blauen Kult-Reisepass wieder bekommen"

Statt des roten europäischen Passes. Ein Erfolg ist das nur für ein paar Hurra-Patrioten, die noch nicht verwunden haben, dass das britische "Empire" endgültig verschwunden ist.

"Die Überprüfung des EU-Verbots für "imperiale" Maßeinheiten für Warenmarkierungen und Verkäufe"

Für Nostalgiker gedacht ist die offizielle Wiedereinfühung von Pfund und Unzen. 1985 hatte die britische Regierung in einem Gesetz "über Gewichte und Maße" verfügt, dass an Verkaufsstellen auch die metrischen Maße genauso klar und deutlich angezeigt werden müssen wie die "imperialen" Maße. Die EU hat das also nicht verboten, wohl aber ist man übereingekommen, dass alle Länder die metrischen Maßeinheiten verwenden, um den Handel zu erleichtern. Die britische Regierung tut hier so wie wenn sich da etwas ändern würde, was aber eher einem Schuss ins eigene Knie nahe käme, da die alleinige Rückkehr zu diesen "imperialen" Maßen eine echter Nachteil für den Handel wäre.

Hier wäre es an der Zeit einen Briten (Peter Burke, Chair
Oxford For Europe) zu zitieren
:

"Warum gibt es diese Liebe zu den "imperialen" Maßeinheiten? Die Lösung liegt im Namen. Diejenigen, die immer noch eine Nostalgie für Britanniens imperiale Vergangenheit haben, möchten diese zurück haben und sie halten diese Maße für Glücksbringen. Bedeutet dass auch, dass sie wieder gerne zur Kanonenboot-Diplomatie und Sklaverei, auf der die ganze imperiale Macht beruhte, zurück möchten? Sehnen sich nach dem Pferdekarren, dem Markt auf dem Dorfplatz oder vielleicht auch nach der Todesstrafe?"

"Den Geschäften ermöglichen ein Stempelsymbol der Krone auf Biergläser anzubringen"

Wie verzweifelt muss man eigentlich sein, um so etwas in einem Erfolgsbericht der britischen Regierung aufzuführen?

Fazit:

Liebe britische Regierung, stampft diese Propaganda-Pamphlet wieder ein. Ihr macht euch damit nur lächerlich. Es besteht zum größten Teil aus Lügen und Unterschlagungen. Kehrt endlich mal zu den Realitäten zurück, dann ist vielleicht ein echter Neustart für das Land möglich. Aber bitte ohne Boris Johnson und seinen konservativen Spießgesellen.


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