In den Mühlen der rumänischen Bürokratie: Menschen ohne Papiere
Die CSU
lebt zur Zeit einmal mehr in Bayern ihr fremdenskeptisches Potential aus: Flüchtlinge,
die keine Personalpapiere haben, sollen gar nicht ins Land gelassen werden. Egal
warum und wieso diese keine Papiere haben. Es gibt sie überall in Europa,
Flüchtlinge, die im Dunkeln leben und für uns nicht existieren, weil sie nicht
bürokratisch erfasst sind. In Frankreich sind es die “Sans papiers”, in Spanien
heißen sie “Sin Papeles”. Gemeinsam habe sie alle, dass sie zu uns geflüchtet
sind.
Rumänien setzt noch eins drauf. Hier gibt es sogar Rumänen, die für den Staat nicht existieren. In der Regel gehören sie dem Volk der Roma an. Es sind Menschen “ohne Akte”, auf Rumänisch “fara acte”. Sie haben nicht einmal eine Geburtsurkunde. Es ist eine Gemeinschaft, der eine Art genetische Krankheit der Identitätslosigkeit anhängt, die sich von Generation zu Generation weiter vererbt.
Die Webseite “Romania de la zer0” hat in einer Berichtsserie mit dem Titel “Die Elenden des Jahres 2015” über ihr Schicksal berichtet. Hier eine Zusammenfassung des Berichts “Eduard möchte gerne zur Schule gehen”:
In Rumänien leben Menschen, die keine Identität haben. Es ist eine Gemeinschaft, die nach Schätzungen sich auf etwa 150.000 betroffene Menschen belaufen. “Ohne Akten” bedeutet, dass die Menschen Gefangene sind – sie können nicht zur Schule gehen, können nicht angestellt werden und können das Land nicht verlassen. Es gibt Rumänen für die alles im Ungefähren bleibt, sie haben kein Alter, sie existieren nicht und die Behörden, die ihnen eigentlich helfen sollten, sind für sie reine Fiktion. Aber diese Menschen sind da, sie verlieben sich, haben Kinder. Keine ihrer Kinder “existieren”. Die Menschen ohne Papiere überleben am Rande der Gesellschaft. Sie arbeiten, wenn gerade jemand ihre Arbeitskraft braucht. Sie haben keinen Zugang zu Krankenhäusern. Gelegentlich gibt es Ärzte, denen es als Beweis reicht, wenn sich einer dieser Menschen vor ihnen befindet, dass er existiert, aber in der Mehrheit der Fälle arbeiten auch Ärzte nach den Gesetzen der Bürokratie. Die Bürokratie glaubt nicht an Tränen.
In Rumänien erfolgt die Erfassung der Bevölkerung im Prinzip am Wohnort auf der Basis der Regelungen der Direktion für die Erfassung von Personen und Verwaltung der Daten des Innenministeriums. Aus Regierungsquellen konnten wir erfahren, dass es seit längerem einen Kampf in der rumänischen Verwaltung zur Änderung des Prinzips “eine Personalausweis gibt es nur in Verbindung mit einem festen Wohnort” gibt. Dies ist ein Prinzip aus sowjetischen Zeiten, dem die Länder des ehemaligen sozialistischen Lagers bisher nicht entkommen konnten. In der Regierung ist man sich im Klaren, dass eine radikale Änderung der Vorschriften nötig ist, da eine der großen Probleme von Menschen ohne Dokumentation (in ihrer Mehrheit Roma) die Tatsache ist, dass sie keinen festen Wohnsitz haben.
Vor dem Eintritt Rumäniens in die EU gab es viele neu gegründete Nichtregierungsorganisationen (NRO), die sich den Roma gewidmet haben. Es gab viele Programme im Land. Dafür gab es dann auch Geld. Dabei hatten die NRO festgestellt, dass es eine Menge Menschen gab, die keine Akte hatten und denen man deswegen nicht helfen konnte. Deshalb hat seit Beginn des Jahres 2000 die Organisation Romani Criss in Bukarest 20.000 Menschen dazu verholfen, einen Personalausweis zu bekommen. Leider waren es nur provisorische Ausweise. Seit einem Jahr sind diese abgelaufen und die Menschen sind wieder “unsichtbar”.
Ohne Akte ist auch Eduard Ciobanu, ein Kind von 7 Jahren aus dem Kreis Bacau. Er geht nicht mehr zur Schule, er ist nicht registriert.
In Rumänien gibt es eine Schulpflicht für den Besuch von 11 Klassen, aber es gibt Kinder, niemand weiß genau wie viele, die nicht registriert sind. Der Staat eröffnet zwar denen ohne Identität eine kleine juristische Tür, um in die Schule gehen zu können. Neben der Liste der offiziell registrierten Schüler gibt eine Parallel-Liste für die Identitätslosen, aber in der Regel werden die Kinder auf dieser Liste ignoriert.
All das kann man an der Geschichte von Eduard Ciobanu, einem heranwachsenden, geistig regem Kind, dessen Intelligenz über dem seiner Altersgenossen liegt, erkennen. Vor einem Jahr hat er auf Grund des Wohlwollens von Persönlichkeiten seines Herkunftsortes mit der Schule angefangen. Er ist durch die Hintertür hereingekommen, inzwischen ist er wieder nur Statistik. Die Mutter von Eduard, Ionela Ciobanu, hat mehr als eine Jahrzehnt sich bemüht vom rumänischen Staat Personalpapiere zu bekommen. Sie hat 4 Kinder. Die letzten drei haben die vergangenen 10 Jahre nicht existiert, seit der Kampf mit der Bürokratie um die Existenz begonnen hat. Keines diese Kinder hat bis heute Personalpapiere.
Die Gesetzgebung, die den Unterricht in Rumänien regelt ,ist zweideutig. Nirgendwo wird ausgeführt, dass ein Kind, das keine Geburtsurkunde hat, nicht im Erziehungswesen angemeldet werden kann. Aber tatsächlich finden diese Einschreibungen nicht statt. Die gesetzlichen Bestimmungen sprechen von “in der Regel”. Durch “in der Regel” wird das Schicksal von Kindern wie Eduard in die Hände der rumänischen Behörden gelegt. In der Regel sind Eltern, wie die von Eduard Ciobanu Analphabeten, sie können keine Antrag ausfüllen, geschweige denn, dass sie wissen, welche Leistungen es gibt, um den Schulbesuch zu ermöglichen.
Trotzdem, auch ohne Geburtsurkunde, ist Eduard, zur Schule gegangen und hat die 1. Klasse Grundschule besucht. Die Lehrerin sagte, dass er Klassenbester war. Er hat ein Zeugnis bekommen. Dieses wurde ihm gestohlen als in ihrem bescheidenen Haus im Dorf Palamidei im Seaca-Tal eingebrochen wurde. Danach ist seine Mutter mit ihm nach Onesti gezogen, seither ist er nicht mehr in einer Schule. Die Mutter und der Vater des Jungen kämpfen darum, dass er seine Akte bekommt, dass er wieder zur Schule gehen kann.
Bekommt Eduard und mit ihm auch die andern vom Schicksal der behördlichen Nichtexistenz Bedrohten eine Chance? Dass es Widerstände dagegen gibt, liegt in Rumänien sicher auch daran, dass man wegen der “Zigeuner” den Behördentrott nicht unbedingt ändern möchte. Dabei ist auch Rumänien ein Land, das rapide vergreist und in Zukunft auf eine gut ausgebildete Jugend angewiesen sein wird. Aber vor zu viel Hochmut sollten wir uns hüten, die Kampagne der CSU lässt erkennen, dass man papierlose Menschen gerne ungesehen machen möchte, weil die Anerkennung ihrer Existenz uns Arbeit machen würde.
Informationsquelle
Eduard vrea la scoala
Rumänien setzt noch eins drauf. Hier gibt es sogar Rumänen, die für den Staat nicht existieren. In der Regel gehören sie dem Volk der Roma an. Es sind Menschen “ohne Akte”, auf Rumänisch “fara acte”. Sie haben nicht einmal eine Geburtsurkunde. Es ist eine Gemeinschaft, der eine Art genetische Krankheit der Identitätslosigkeit anhängt, die sich von Generation zu Generation weiter vererbt.
Die Webseite “Romania de la zer0” hat in einer Berichtsserie mit dem Titel “Die Elenden des Jahres 2015” über ihr Schicksal berichtet. Hier eine Zusammenfassung des Berichts “Eduard möchte gerne zur Schule gehen”:
In Rumänien leben Menschen, die keine Identität haben. Es ist eine Gemeinschaft, die nach Schätzungen sich auf etwa 150.000 betroffene Menschen belaufen. “Ohne Akten” bedeutet, dass die Menschen Gefangene sind – sie können nicht zur Schule gehen, können nicht angestellt werden und können das Land nicht verlassen. Es gibt Rumänen für die alles im Ungefähren bleibt, sie haben kein Alter, sie existieren nicht und die Behörden, die ihnen eigentlich helfen sollten, sind für sie reine Fiktion. Aber diese Menschen sind da, sie verlieben sich, haben Kinder. Keine ihrer Kinder “existieren”. Die Menschen ohne Papiere überleben am Rande der Gesellschaft. Sie arbeiten, wenn gerade jemand ihre Arbeitskraft braucht. Sie haben keinen Zugang zu Krankenhäusern. Gelegentlich gibt es Ärzte, denen es als Beweis reicht, wenn sich einer dieser Menschen vor ihnen befindet, dass er existiert, aber in der Mehrheit der Fälle arbeiten auch Ärzte nach den Gesetzen der Bürokratie. Die Bürokratie glaubt nicht an Tränen.
In Rumänien erfolgt die Erfassung der Bevölkerung im Prinzip am Wohnort auf der Basis der Regelungen der Direktion für die Erfassung von Personen und Verwaltung der Daten des Innenministeriums. Aus Regierungsquellen konnten wir erfahren, dass es seit längerem einen Kampf in der rumänischen Verwaltung zur Änderung des Prinzips “eine Personalausweis gibt es nur in Verbindung mit einem festen Wohnort” gibt. Dies ist ein Prinzip aus sowjetischen Zeiten, dem die Länder des ehemaligen sozialistischen Lagers bisher nicht entkommen konnten. In der Regierung ist man sich im Klaren, dass eine radikale Änderung der Vorschriften nötig ist, da eine der großen Probleme von Menschen ohne Dokumentation (in ihrer Mehrheit Roma) die Tatsache ist, dass sie keinen festen Wohnsitz haben.
Vor dem Eintritt Rumäniens in die EU gab es viele neu gegründete Nichtregierungsorganisationen (NRO), die sich den Roma gewidmet haben. Es gab viele Programme im Land. Dafür gab es dann auch Geld. Dabei hatten die NRO festgestellt, dass es eine Menge Menschen gab, die keine Akte hatten und denen man deswegen nicht helfen konnte. Deshalb hat seit Beginn des Jahres 2000 die Organisation Romani Criss in Bukarest 20.000 Menschen dazu verholfen, einen Personalausweis zu bekommen. Leider waren es nur provisorische Ausweise. Seit einem Jahr sind diese abgelaufen und die Menschen sind wieder “unsichtbar”.
Ohne Akte ist auch Eduard Ciobanu, ein Kind von 7 Jahren aus dem Kreis Bacau. Er geht nicht mehr zur Schule, er ist nicht registriert.
In Rumänien gibt es eine Schulpflicht für den Besuch von 11 Klassen, aber es gibt Kinder, niemand weiß genau wie viele, die nicht registriert sind. Der Staat eröffnet zwar denen ohne Identität eine kleine juristische Tür, um in die Schule gehen zu können. Neben der Liste der offiziell registrierten Schüler gibt eine Parallel-Liste für die Identitätslosen, aber in der Regel werden die Kinder auf dieser Liste ignoriert.
All das kann man an der Geschichte von Eduard Ciobanu, einem heranwachsenden, geistig regem Kind, dessen Intelligenz über dem seiner Altersgenossen liegt, erkennen. Vor einem Jahr hat er auf Grund des Wohlwollens von Persönlichkeiten seines Herkunftsortes mit der Schule angefangen. Er ist durch die Hintertür hereingekommen, inzwischen ist er wieder nur Statistik. Die Mutter von Eduard, Ionela Ciobanu, hat mehr als eine Jahrzehnt sich bemüht vom rumänischen Staat Personalpapiere zu bekommen. Sie hat 4 Kinder. Die letzten drei haben die vergangenen 10 Jahre nicht existiert, seit der Kampf mit der Bürokratie um die Existenz begonnen hat. Keines diese Kinder hat bis heute Personalpapiere.
Die Gesetzgebung, die den Unterricht in Rumänien regelt ,ist zweideutig. Nirgendwo wird ausgeführt, dass ein Kind, das keine Geburtsurkunde hat, nicht im Erziehungswesen angemeldet werden kann. Aber tatsächlich finden diese Einschreibungen nicht statt. Die gesetzlichen Bestimmungen sprechen von “in der Regel”. Durch “in der Regel” wird das Schicksal von Kindern wie Eduard in die Hände der rumänischen Behörden gelegt. In der Regel sind Eltern, wie die von Eduard Ciobanu Analphabeten, sie können keine Antrag ausfüllen, geschweige denn, dass sie wissen, welche Leistungen es gibt, um den Schulbesuch zu ermöglichen.
Trotzdem, auch ohne Geburtsurkunde, ist Eduard, zur Schule gegangen und hat die 1. Klasse Grundschule besucht. Die Lehrerin sagte, dass er Klassenbester war. Er hat ein Zeugnis bekommen. Dieses wurde ihm gestohlen als in ihrem bescheidenen Haus im Dorf Palamidei im Seaca-Tal eingebrochen wurde. Danach ist seine Mutter mit ihm nach Onesti gezogen, seither ist er nicht mehr in einer Schule. Die Mutter und der Vater des Jungen kämpfen darum, dass er seine Akte bekommt, dass er wieder zur Schule gehen kann.
Bekommt Eduard und mit ihm auch die andern vom Schicksal der behördlichen Nichtexistenz Bedrohten eine Chance? Dass es Widerstände dagegen gibt, liegt in Rumänien sicher auch daran, dass man wegen der “Zigeuner” den Behördentrott nicht unbedingt ändern möchte. Dabei ist auch Rumänien ein Land, das rapide vergreist und in Zukunft auf eine gut ausgebildete Jugend angewiesen sein wird. Aber vor zu viel Hochmut sollten wir uns hüten, die Kampagne der CSU lässt erkennen, dass man papierlose Menschen gerne ungesehen machen möchte, weil die Anerkennung ihrer Existenz uns Arbeit machen würde.
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Eduard vrea la scoala
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