Das kommt mir spanisch vor: Politiker verhaften, damit er nicht zum Präsidenten gewählt werden kann

Unter dem Titel "Separatisten-Kandidat verfehlt Mehrheit" berichtete vor kurzem die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
Die großen separatistischen Parteien in Katalonien sind mit ihrem Versuch gescheitert, in einer eilig einberufenen Parlamentssitzung Ex-Regierungssprecher Jordi Turull zum neuen Regionalpräsidenten zu wählen. Die linksradikale Partei CUP, auf deren vier Stimmen die separatistischen Listen JuntsPerCat und ERC im Parlament von Barcelona angewiesen sind, entschieden vor der Abstimmung am Donnerstag, sich der Stimme zu enthalten.
Damit erreichte Turull am Abend nicht die im ersten Wahlgang erforderliche absolute Mehrheit. Ein zweiter Wahlgang, bei dem eine einfache Mehrheit genügt, würde erst in 48 Stunden stattfinden – aber da könnte der 51-Jährige bereits im Gefängnis sein.

Und so kam es auch. Die spanische Regierung ließ über die ihr willfährige Justiz wieder die Muskeln spielen und Turull ohne Möglichkeit der Stellung einer Kaution ins Gefängnis werfen. Ein sehr durchsichtiges Schauspiel, das nur der Absicht diente zu verhindern, dass das katalanische Parlament - das nach Madrider Demokratie-Verständnis ohnehin nur nach der Pfeife der Zentralregierung zu tanzen hatte - in demokratischer Form einen Präsidenten wählen konnte.

Jordi Turull hat jetzt in der in Barcelona erscheinenden Zeitung "La Vanguardia" unter dem Titel "Eine gelungene Investitur" seine Sicht der Ereignisse dargestellt:

Vor etwas mehr als einer Woche bin ich innerhalb von 24 Stunden vom "möglichen Präsidenten" zum "Häftling" mutiert. Es war ein starker Schlag. Aber meine Überzeugungen sind stärker als ihre Ungerechtigkeiten. Und deswegen bleibe ich ernsthaft und stark. Noch ernsthafter und stärker als beim ersten Mal als sie uns in das Gefängnis einlieferten. Ich bin dankbar und gestärkt vor allem für die vielen Zeichen der Unterstützung und Solidarität.
....
Die Debatte bei der Wahl im Parlament lohnte meiner Ansicht nach die Mühe. Und der Ton, glaube ich, war für alle angemessen. Und vor allem ist mir die Erinnerung daran geblieben. Ich wiederhole das, was ich sagte und auf was ich insistierte: Es ist eine Lösung durch einen Dialog notwendig. Und eine Lösung über den Dialog setzt nicht voraus Verzichtslösungen zu identifizieren, sondern mögliche Lösungen, die berücksichtigen, was die Bürgerschaft das eine und andere Mal in Wahlen ausgedrückt hat. Das gilt vorab und das gilt für absolut jedermann: Die Wirklichkeit kann man nicht durch eine Seite verbieten und auch nicht von einer anderen Seite ignorieren. Man muss sie angehen und von ihr aus die Politik betreiben. Das war meine Aufgabe vor dem Plenum des Parlaments. Und das war auch das, das ich vor dem Obersten Gericht am 23. März erklärte in einer Art, in der es sich wie eine Erweiterung zur Debatte über die Präsidentenwahl handelte.

Und so geschah es auch. Im Obersten Gericht setzte sich die Debatte zur Präsidentschaftswahl fort. Mit meinen Ausführungen, aber vor allem auch mit den "Antworten" der Staatsanwaltschaft, der andern Nebenkläger - von denen einige eine rechtsextreme Partei repräsentieren - und vor allem der des Untersuchungsrichters. Man sollte vor allem die juristischen Argumente des Gerichtsbeschlusses analysieren, die uns erneut ins Gefängnis gebracht haben. Es ist die lebhafte und kontrastreiche Bestätigung, nicht nur dass die Gewaltenteilung in Spanien schwach ist - so wie man es oft erleben konnte -, sondern dass sich das konsolidiert, was man eine echte "Überkreuzung der Gewalten" bezeichnen kann.

Gehen wir in die Einzelheiten. Als erstes richten wir unsere Aufmerksamkeit darauf, dass in der richterlichen Analyse wissenschaftliche Kriterien mit der Psychologie für den Hausgebrauchvermischt werden. Niemals in den unmöglichsten parlamentarischen Debatten habe ich in meine Leben als Autoritätsargument ähnliches gehört. Konkret behauptet der Untersuchungsrichter mit Bezug auf uns alle und auf jeden von uns, dass "in der inneren psychologischen Sphäre es ein starkes Element gibt, das erlaubt anzunehmen, dass die richterlichen Entscheidungen nicht akzeptiert werden". Aber das Schlimmste ist nicht das, was ja bereits äußerst tragisch ist, sondern das was sich daraus für ihn ergibt: Uns für unschuldig zu erklären, für das, was er uns anklagt. Eine der Errungenschaften eines demokratischen Rechtsstaates ist, sich für unschuldig zu erklären, ohne dass man dafür mit Strafmaßnahmen zu rechnen hat. Aber das Oberste Gericht geht genau in die entgegengesetzte Richtung: Dass wir uns für unschuldig erklären, zeigt entsprechend dem Gerichtsbeschluss, dass wir unsere Delikte wiederholen wollen und deshalb zur Strafe ins Gefängnis müssen. Das scheint mir juristisch nicht nur sehr delikat, sondern vor allem sehr gefährlich aus der Perspektive des Respekts für die demokratischen Werte und der elementarsten Menschenrechte.

Aber dabei bleibt es nicht. Derselbe Richter führt auch als herausragendes Argument für meine Haft an, dass es darum gehe "eine gelungene Rückkehr zur Selbstregierung in Katalonien zu ermöglichen". Das steht auf Seite 8 des Beschlusses über die bedingungslose Haft ohne Möglichkeit der Hinterlegung einer Kaution. Ich habe bei Herrn Llarena keine Sympathien, das fühle ich. Er hat legitimerweise seine politischen Ansichten. Sie sind so respektabel wie die meinigen und die jedes anderen. Aber mit seiner politischen Bewertung missbraucht er die Gewalt, die ihm das Gesetz zu spricht, und ihn dazu führt eine Vorbeugehaft anzuordnen - das bedeutet ohne Gerichtsurteil - das ist noch eine Anomalie des Systems, das Gewaltenteilung und Unparteilichkeit voraussetzt. Das "Nein" des Herrn Llarena wiegt nicht nur mehr als die Stimme eine gewählten Abgeordneten, der das Volk von Katalonien repräsentiert, sondern es kann einem dieses fundamentale und so geschätzte Recht der Freiheit absprechen.

Es ist offensichtlich, dass in dieser Debatte zur Präsidentenwahl zwischen dem Parlament und dem Obersten Gericht tatsächlich der Richter gewonnen hat. Er hat mich hinter Gitter geschickt und hat damit verhindert, dass eine Präsidentenwahl erfolgte, weil er diese nicht für "passend" hielt. Jetzt, aus einer demokratischen Perspektive und aus Respekt gegenüber dem Rechtsstaat befürchte ich, dass niemand gewinnen wird. Es würde mich freuen grundlegend über die Politik mit Herrn Llarena zu diskutieren. Genauso wie es andere Personen gerne täten. Sich auseinandersetzen und einen Dialog führen. Anderer Meinung sein und gleicher Meinung sein. Letztendlich dem Wort Demokratie im wahrsten Sinne des Wortes die Ehre zu erweisen. Ich hoffe, dass ich das eines nicht allzu weit entfernten Tages machen kann, indem ich das praktiziere, was man "mit den Leuten reden, damit sie verstehen" nennt. Währenddessen werde ich weiterhin unsere Unschuld verteidigen, unsere Überzeugung, dass das was wir getan haben kein Verbrechen war und dass auf dem Weg der individuellen und kollektiven Freiheiten in unserem Land, dem Zusammenleben, der Versöhnung und der schönen integrierenden Idee eines Volkes, dessen Motor der Katalanismus ist, uns alle erlauben wird, egal welcher Meinung wir sind, eine bessere Zukunft für unsere Kinder zu hinterlassen.

Mein Körper steckt im Gefängnis, aber mein Kopf und mein Herz in Katalonien.

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