Spanien: Ist das derzeitige System wirklich alternativlos?
Spanien steht zur Zeit vor der Entscheidung eines endgültigen Bruchs mit seiner jüngeren faschistischen Vergangenheit oder Rückkehr in das Korsett der gelenkten Demokratie wie sie sich die Nachfolger des Diktators in der Übergangszeit von der Diktatur in die "reformierte" Demokratie vorgestellt haben. Der Schriftsteller und Regisseur Suso de Toro hat eine ausführliche Analyse des spanischen Dilemmas geschrieben, die er so zusammenfasst:
Das derzeitige System der Regierungsmacht (in Spanien) ist dernassen morsch, dass sie auch die Gesellschaft korrumpiert, die das akzeptiert und toleriert. Die Staatskrise ist eine Tatsache, aber die staatlichen politischen Organisationen bieten keine Alternative an
Hier der übersetzte Text seines auf der Webseite eldiario.es erschienen Beitrags:
Im Großen wie im Kleinen zeigt sich dieselbe Realität. Das Kleine betrifft uns persönlich, die Person, die festgenommen wird, weil sie ihre Freiheit nutzt und die Demokratie, die Anderen, die bereits im Gefängnis sind oder kurz davor stehen und diejenigen, die Tag für Tag auf das Papier eines Gerichts warten, auf denen ihr Name steht, vielleicht kommt es oder auch nicht, aber es ist gut möglich, dass es kommt. Das Kleine besteht in der Feststellung, dass dieser Staat gegen die Menschen eingestellt ist.
Das Große ist das, was wir hier versucht haben in den letzten Jahren zu erzählen: Die Staatskrise. Die Krise des franquistischen Staates, dessen Reform unter den damaligen Hauptakteuren vereinbart wurde.
Auf jeden Fall ist der Staat wegen seiner Fundamente, die auf der Franco-Diktatur beruhen und keineswegs für eine demokratische Legitimierung der Staatsorgane stehen, in einer Krise. Es ist keine abwegige Anekdote, dass Generäle unverfroren mit der Armee drohen, was in einem anderen Land Entsetzen erzeugen würde, aber nicht hierzulande, weil das unserer historischen Realität entspricht, schließlich und schlussendlich hat der Regierungschef in Übereinstimmung mit dem König damit gedroht, einen Teil des Volkes unter Nutzung der Streitkräfte zu bestrafen. Und sie werden das nutzen oder tun es bereits.
Dieser Staat ist eine verfilzte Allianz zwischen den Wirtschaftsmächten, der Monarchie und drei der vier wichtigsten Staatsparteien. Ein "Hof" konzentrierter Macht in Madrid, der die Gesamtheit der Gesellschaft erstickt, weil er sich als den Staat ausgibt und es deswegen erforderlich ist, dass er über eine desinformierte und ängstliche Bevölkerung regiert.
In diesen Jahren der Regierung des M. Rajoy gab es eine Verhärtung unter Ausnutzung der Krise in einem permanenten Prozess der Rezentralisierung und Anhäufung jeder Art von Macht in diesem unentwirrbaren Knäuel: Monarchie + wichtigste Staatsparteien + IBEX + Massenmedien. Es fehlt uns eine Karte, die das Innere dieser Maschine aufzeigt, die Verbindungen zwischen diesen Machtfaktoren.
Der franquistische Staat kehrt ganz einfach zu seinen Ursprüngen zurück und zu seiner sehr intimen Natürlichkeit. Die Wahl von González und Guerra, die von Suresnes aus geschaffene PSOE ,die unter dem Schutz der deutschen Sozialdemokratie stand, damit Spanien innerhalb des europäischen Projekts in die NATO integriert werden konnte, muss als eine irreguläre Situation angesehen werden. Für viele Beamten des "Hofs", Richter, Zivil-Gouverneure und Ex-Gouverneure, das ganze in Madrid konzentrierte Herz des Staates waren es einige Dahergelaufene, die den Staat besetzt hielten. Zapatero traf bereits der Bannfluch, die Ablehnung, die er im "Hof" zu fühlen bekam, war eisig. Aznar bedeutete eine Umkehr und Rückkehr zur "Normalität", zur Regierung der Leute aus "gutem Hause" oder wie es M. Rajoy auszudrücken pflegt "von guter Herkunft".
Eine Bevölkerung, die durch ein paar Generationen vom Franquismus geprägt wurde und nie eine wahre Freiheit ohne Angst erlebte, war leicht zu führen und innerhalb des nationalen kontinuierlichen Projektes zu halten. Das Verbot in die Vergangenheit zu schauen, um den Franquismus zu beschmutzen und mit ihm zu brechen, war die Basis, auf der die "Transición" (Übergang) aufgebaut wurde, was bedeutete den Franquismus als legitime Vorgeschichte zu akzeptieren.Und auf diesem rechteckigen, vergifteten Stein wurde das nationale spanische Projekt von Franco gegründet in einer autoriären öffentlichen Kultur, indem der Schwerpunkt auf den Zwang gegenüber dem Dialog und der Absprache gelegt wurde, der Angst vor einer bevormundenden Armee verbunden mit der Figur des Königs, eines bewaffneten Königs.
Natürlicherweise folgte daraus eine juristisch-politische Kontinuität, die auf dem Sonderrecht der Spanier, der grundlegenden Gesetze der Bewegung, dem Nachfolgegesetz und dem Gesetz der politischen Reform, das von den franquistischen "Höfen" genehmigt wurde und mit dem das Diktat Francos zur Einführung der Monarchie durchgesetzt wurde, beruht. Spanischtum (españolismo) und Zentralismus und Monarchie. Es ist egal ob das Königliche Haus ein bemitleidenswertes und absurdes Spektakel abgibt und dass der derzeitige König allen Behauptungen, dass dieses Königreich ein demokratisches Regime ist, in der der König repräsentiert und nicht regiert, widerspricht.
In Konsequenz wurden solchen derart kontrollierten und und strangulierenden Spielregeln ein öffentlicher Raum geschaffen, wo "wer sich bewegt nicht auf das Foto kommt", so verhalten sich die Kommunikationsmedien dieses korrupten politischen Systems und die Polizei, die Staatsanwälte und Richter. Aber die Morschheit des Systems basiert auf einer Zweiparteienherrschaft, wo sie sich auf den Stufen der Moncloa umarmen, M. Rajoy und Sánchez Castejón, und keiner weiss, ob nicht schon morgen oder gestern eine korrupte Wirtschaft aufblüht, um so mehr Dreck aufgedeckt wird um so intensiver ist die Umarmung von Sánchez für Rajoy, damit er nicht fällt. Die Beiden sind das System, Rivera ist notfalls ein Ersatzteil, falls man dieses braucht.
Die Leute von Podemos. "Podemos" spielt im selben öffentlichen Raum wie die Anderen und kämpft um dieselben Wählerstimmern. Deshalb hat sich die Partei auch nicht aus dem Spiel ausgeklinkt, sondern sie nahm angesichts der demokratischen katalanischen Herausforderung Haltung an, weil sie verstanden hat, dass diese Entwicklung ungünstig ist und nur Probleme schafft. Über das interne Funktionieren und seine politische Kultur, die sich in der peinlichen Episode des Kaufes eines Hauses für die beiden führenden Personen zeigte, gebe ich keine Meinung ab, aber es bleibt festzustellen, dass wenn ihre Anführer auf die Moralisierung der Politik setzen und eine demokratische Art diese auszuüben, dann werden sie durch solche Episoden diesem Anspruch nicht mehr entsprechen und ihre Wählerschaft enttäuschen. Im politischen Bereich sind sie "die nützliche Wahl" für die fortschrittlichen Kräfte, aber sie repräsentieren keinen Bruch mit dem politischn System und den herrschenden Kräften.
Zusammengefasst: Das derzeit herrschende Machtsystem ist so verfault, dass sie auch die Gesellschaft selbst, die das akzeptiert und toleriert, korrumpiert. Die Staatskrise ist eine Tatsache, aber die staatlichen Organisationen bieten keine Alternativen an. Die Katalanen haben mit ihrem eigenen Bruch begonnen und die PNV, nach dem Verschwinden der ETA , sieht sich angesichts dieser Ruine von Korruption und Autoritarismus vor ein Dilema historischen Ausmasses gestellt.
Irgendwann einmal muss ein Bericht über die Gesamtheit dieses Rückschritts vom reformierten Staat zu seinen (franquistischen) Ursprüngen gemacht werden. Stellen wir das für einen anderen Zeitpunkt zurück.
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