Das Oberste Gericht Spaniens jongliert auf dem Drahtseil zwischen Rechtsprechung und Rechtsbeugung

Nun sind die katalonischen Politiker, die für die Unabhängigkeit der Region mit der Abhaltung eines von der Madrider Regierung verbotenen Referendums kämpften nach 2 Jahren Untersuchungshaft zu monströsen Haftstrafen wegen "Aufruhr" verurteilt worden. Dass die Richter bei ihrem Urteil die Rechtslage reichlich parteiisch und zum Teil mit abenteuerlicher Begründung ausgelegt haben, gibt Anlass zur Befürchtung, dass hier nicht Recht gesprochen, sondern Rache geübt wurde. Rache gegen eine spanische Region, die sich dem konstruierten "Vaterland" nicht mehr zugehörig fühlen wollte. Der Wahlspruch der kasernierten Polizei "Guardia civil" lautet "Todo por la Patria" und wie man "patria" zu verstehen hat, das definieren immer noch vom Franco-Faschismus indoktrinierte Politiker in Madrid, die Armee, Polizei und katholische Kirche.

Ignacio Escobar, der Herausgeber der Internet-Zeitung "eldiario.es", geht auf das Urteil näher ein. Seine Ausführung gebe ich hiermit in Teilen wieder:

"Aufruhr" ist keine Rebellion im Kleinen. Weder bezüglich der Strafen, die völlig überzogen sind, aber auch bezüglich seiner gesetzlichen Natur. Die Rebellion ist eine militärische Erhebung, ein Delikt gegen die Verfassung. "Aufruhr" gehört zu einem Teil des Strafgesetzbuches, dem der "öffentlichen Unruhestiftung". Es ist eine Strafe autoritärer Staaten, die es vermutlich als solche im größten der Teil der europäischen Gesetzgebung nicht gibt. Zumindest nicht in der Härte, in der es das Oberste Gericht angewendet hat.

Beide Delikte haben dieselbe historische Wurzel: Es ging um einen Angriff auf die bestehende gesellschaftliche Ordnung, die es erlaubte den Kriegszustand auszurufen. Aber gleichzeitig ist ihre Beschreibung sehr verschieden und leicht zu unterscheiden. Die Rebellion war ein bewaffneter Protest gegen die Regierung oder den König. Der Tatbestand der Aufruhr war eine andere Sache sehr verschieden zur militärischen Erhebung: Es war die Unruhe der Landarbeiter gegen die bestehende Ordnung und stammt aus einer Zeit, in der es kein Recht zum Protest gab, zur Versammlung oder Demonstration. Der Aufruhr ist nicht gewalttätig und ist deshalb das Delikt eines autoritären Staat, das es in der Demokratie nicht geben dürfte. Denn in einem demokratischen Staat ist der friedliche Protest ein hohes Gut.

Am 14. Oktober hat der Oberste spanische Gerichtshof (Tribunal Supremo) sich dazu entschieden, dass der friedliche Protest im Fall der beiden Jordis mit 9 Jahren Gefängnis bestraft wird. Denn das Oberste Gericht verneint, dass es in jenen Tagen Gewalt gegeben hat, die "instrumental, funktional als Ziel des Deliktes" diente. Das Urteil stellt fest, dass es einige gewalttätiges Episoden gab, aber keinen gewalttätigen Plan gegen die Verfassungsordnung.


Das Gericht stellt die Bereitschaft von Jordi Cuixart, auf jede Gewaltanwendung zu verzichten, nicht in Frage, hält sie sogar für lobenswert. "Wir misstrauen nicht im mindesten auch seinen pazifistischen Überzeugungen und der Rückweisung gewalttätiger Aktionen" steht im Urteil über die katalanischen Ereignisse. In anderen Abschnitten wird der ANC als "eine Vereinigung, deren Legalität nie in Frage gestellt wurde" und "die eine wichtige Funktion in der katalanischen Gesellschaft" habe, beschrieben.

Das Oberste Gericht gibt auch etwas zu, was Aufmerksamkeit verdient, dass unter anderen Begründungen zugegeben wird: "Alle Angeklagten waren sich bewusst, dass der katalanische Weg selbst kein Versuch der Abspaltung war". Allen Angeklagten war klar, dass das Referendum vom 1. Oktober Rechtswirksamkeit hatte und zu keiner Abspaltung führen würde. Der Plan war ein anderer, es ging darum die politischen Führer und ihre Anhänger zu einer Verhandlung über ein Referendum zu drängen", gibt der Tribunal Supremo zu.

Um es zusammenzufassen: Das Urteil besagt, dass es kein Staatsstreich war, dass es keinen gewalttätigten Plan gab, dass nicht beabsichtigt war, dass Katalonien seine unmittelbare Abtrennung vom spanischen Staat vollziehen wolle, sondern nur die Regierung auf diese Weise zur Abhaltung eines Referendums wie damals in Schottland drängen wollte. Die Unabhängigkeitsbewegung ist eine Bewegung mit "pazifistischen Überzeugungen". Eine friedfertige Bewegung, der hauptsächliche Führer, die von etwa der Hälfte der katalanischen Gesellschaft unterstützt werden, zu höchsten Gefängnisstrafen verurteilt wurden.

Eine andere Sache sind die Strafen. Der Supremo hatte einige politisch sehr schwerwiegende Tatsachen einzuordnen  - das was im Oktober 2017 passierte war nicht nur ein Happening - in ein Strafgesetzbuch, wo das nicht so leicht unterzubringen ist. Seit 1995 gibt es in Spanien keinen Strafbestand der Rebellion mehr, bei der es nicht zu Gewaltanwendungen kommt. Und im Jahr 2005 wurde die Abhaltung eines illegalen Referendums straflos gestellt.

Wie kann man nun einen nicht gewalttätigen Protest mit Gefängnisstrafen belegen, die dem eines Mordes entspricht? Der Schlüssel für das Urteil befindet sich auf der Seite 283. Dort verlegt sich der Supremo auf eine gefährlich Rechtsprechung mit Folgen, die noch abzuwarten sind. "Das Recht auf Protest kann sich nicht zu einem exotischen Recht zur physischen Behinderung von Agenten des Staates bei der Erfüllung eines gerichtlichen Mandates wandeln", bestimmt das Gericht. "Die Autorität der Judikative wurde behindert durch den Willen der Organisatoren (des Referendums) und derjenigen, die diesem Aufruf gefolgt sind, ein Wille, der mit Kraft durchgesetzt wurde".

Man muss sich klar werden, was das bedeutet. Denn mit dieser Definition sind mit Aufruhr auch diejenigen gemeint, die über die Plattform der Hypothekengeschädigten Zwangsräumungen verhindert haben. Aufruhr sind viele der Proteste der Umweltschützer, der Tierschützer oder von Femen. Aufruhr ist passiver Widerstand. Und der Aufruhr wird in Spanien mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft.

Die konstruierte Rebellion hatte ohne Zweifel ihren Zweck. Ohne diese fiktive Anklage hätte der Supremo die vorbeugende Amtsenthebung von Carles Puigdemont nicht anordnen können. Ohne diese prozessuale Erfindung wäre das Urteil vermutlich nicht das Gleiche.

Es gibt ein Beispiel, das nicht allzu weit zurück liegt, um den ursprünglichen Sündenfall des Gerichtsverfahrens in der katalanischen Angelegenheit erklären zu können. Es ist der Fall von Altsasu, ein Zwischenfall der gewisse Ähnlichkeiten mit dem Urteil hat, das wir zur Zeit zur Kenntnis nehmen. Erinnern sie sich? Dieser Streit in einer Bar, der vom Oberlandesgericht (Audiencia Nacional) mit der Entschuldigung an sich gezogen wurde, dass es sich um Terror gehandelt habe. Danach stellte sich heraus, dass es kein Terrorismus war - das war es nie -, aber deswegen wurden die Angeklagten in Madrid vor Gericht gestellt und nicht in Navarra. In Madrid verurteilte man sie dann mit außerordentlicher Härte.

Es gibt ein grundlegendes Recht, das es für das ganze demokratische Land gibt: Das Recht auf den zuständigen Richter. Es besteht darin, dass das Verfahren vor dem Gericht geführt wird, das durch Gesetz bestimmt wird (Artikel 24.2 der Verfassung). Das dadurch für zuständig erklärte Gericht und nicht das, welches sich die Regierung oder der König wünscht. Das normale zuständige Gericht für einen Streit in ein Bar in Navarra ist das Provinzgericht (audiencia provincial) und nicht die Audiencia Nacional (in Madrid). Und der natürliche Richter für die katalanischen Vorgänge hätte das Provinzgericht von Barcelona oder das Oberste Gericht von Katalonien und nicht der Supremo noch die Audiencia Nacional sein müssen.

Es war schon reichlich strittig, dass die Rebellion vor dem Supremo verhandelt wurde. Die Rechtsprechung des höchsten spanischen Gerichtes legte selbst fest, dass weder die Rebellion noch der Aufruhr in seine Kompetenz fielen, so wie sie es dem Richter Baltasar Garzón diktierten, als er versuchte die offensichtlichste Rebellion in der jüngeren Geschichte Spaniens zu untersuchen: Der Staatsstreich von 1936. Auch kam im Falle der berühmtesten Aufruhr der letzten Jahre, dem Protest der Fluglotsen von 2010, das Verfahren nicht vor den Supremo.

Es war schon sehr fragwürdig, dass die Rebellion vor dem Supremo landete. Und das noch mehr, wenn man eine Offensichtlichkeit mit einbezieht: Es gab keine gewalttätige Rebellion, was auch heute der Supremo einstimmig zugibt. Genauso wie im Fall von Altsasu mit dem Terrorismus, so diente die Anklage wegen Rebellion einem anderen Zweck: Das Verfahren nach Madrid zu ziehen.


eldiario.esNi golpe de Estado ni secesión ni violencia organizada ni rebelión

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