Das Sündenregister der Guardia Civil

Die paramilitärische kasernierte Polizei "Guardia Civil" (GC) wurde von der Franco-Diktatur als Unterdrückungsinstrument genutzt. Eine wichtige Rolle spielt dabei das "Vaterland" (patria), wobei "Vaterland" im reaktionär-faschistischen Sinne des ehemaligen Francostaates und der heute noch Spanien dominierenden höheren Gesellschaftskreise sowie die Tatsache eines absoluten Zentralismus, bei dem alle Macht von Madrid aus geht, verstanden wird. Falls man das in Gefahr sieht, wird notfalls geputscht oder mit Putsch gedroht. Beim Tejero-Putsch 1981 - Tejero war Oberst der GC - war diese faschistische Argumentation noch einmal ganz nach oben gespült worden. Der Putsch misslang, weil der König, der als von Franco inthronisiertes Staatsoberhaupt in den reaktionären Kreisen hohes Ansehen genoss,  weitsichtig genug war,  um zu erkennen, dass ein faschistischer Putsch Spanien in Europa um Jahrzehnte ins Abseits stellen würde. Das Grundproblem aber blieb. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde versucht dieser Truppe ein moderneres Image zu geben, aber im Prinzip blieb es bei der Ideologie, ihr Vaterland, die Monarchie, die sie tragende katholische Kirche notfalls mit Waffengewalt vor Veränderungen durch "linkssozialistische" Kreise zu schützen. Lange Jahre der Regierung der Partido Popular, eine Partei die von Franquisten gegründet worden war und als konservativ gilt, ermöglichten es der GC ohne Gewissensbisse an die alte Tradition anzuknüpfen. Jetzt hat Spanien eine Regierung aus Sozialdemokraten (PSOE) und der linken Partei Podemos. Auch wenn vor allem die PSOE sich bei den "alten spanischen Werten" verbiegt bis zum geht nicht mehr, haben die Machenschaften der GC-Oberen, denen es darum ging Arm in Arm mit den Reaktionären jede gesellschaftliche Modernisierung Spaniens zu verhindern, jetzt zu Konsequenzen geführt. Die Zeitung "El Nacional" fasst die Ereignisse und das Sündenregister der GC so zusammen:

In dieser Woche ist der Krieg innerhalb der Guardia Civil ausgebrochen. Als erstes wurde der Oberst Diego Pérez de los Cobos entlassen, danach erfolgte der Rücktritt der Nummer 2 der Körperschaft, der Generalleutnant Laurentino Ceña, und die Entlassung der Nummer 3, des Generalleutnant Fernando Santafé. Der zuständige Minister Fernando Grande-Marlaska hat es als einen "neuen Impuls" für die Einrichtung bezeichnet, aber es gab auch einen Tropfen Wasser, der das Glas zum überlaufen brachte: Der umstrittene Bericht der Guardia Civil über die Demonstrationen am 8. März in Madrid und die Ausbreitung des Coronavirus.

Was stand in diesem Bericht? Grundsätzlich ist es ein Dokument voll von eindeutigen "Irrtümern" und verfälschten Informationen, die die Regierung dafür verantwortlich machten, dass sie die Demonstration von Feministinnen nicht untersagt hatte als die Zahl der Infizierten zu steigen begann. Dem Gesundheitsministerium und dem Doktor Fernando Simón, zuständiger Direktor für das Zentrum zur Koordinierung für Alarm- und Gesundheitsnotstand (Centro de Coordinación de Alertas y Emergencias Sanitarias) wird dafür die Verantwortung zugeschoben. Der Bericht enthält auch manipulierte Zeugenaussagen, die in dem Bericht das Gegenteil sagten, von dem was sie bei der Kommandatur der GC in Madrid erklärt hatten. Aber diese "Irrtümer" der Guardia Civil sind nichts neues. Eine schnelle Durchsicht der Zeitungsarchive der letzten Jahre gibt ein trauriges Bild: Es ist ein immer wiederkehrendes Phänomen. Der hauptsächliche Beweggrund war der Terrorismus, mit oder ohne ETA. Die Basken und Katalanen waren die Hauptopfer, aber sie waren nicht einzigen. Bei vielen Fällen gab es Vorwürfe wegen Folter, die von der Justiz aber nicht verfolgt wurden. Wenn Polizisten, Richter und auch Medien zusammengearbeitet haben, gab es gelegentlich Erfolg und auch Verurteilungen. Andere Fälle sind wieder schnell von der Tagsordnung verschwunden zur großen Überraschung der Öffentlichkeit.

Hier die Fälle:

"Die beiden Jordis

Die Leiter einer zivilen, katalanischen Kulturorganisation Jordi Cuixart und Jordi Sànchez waren im Oktober 2017 die ersten, die ins Gefängnis eingeliefert wurden. Dies geschah nach den massenhaften Protesten gegen die Operation Anubis. Die Guardia Civil wurde beauftragt einen Bericht zu erstellen, der dazu diente die Vorgenannten wegen Aufstand zu verurteilen. Der erste Bericht beschrieb ein Klima des "Aufstandes" mit "vielen Schäden, die an Fahrzeugen entstanden waren, das Werfen von Gegenständen, dem Versuch der Erstürmung eines Gebäudes mit Freiheitsberaubung des darin befindlichen Wahlkommittees und der Beamten, die sich im Gebäude befanden. Der Bericht beschuldigte direkt die beiden Inhaftierten, für die Ereignisse an den Tage vom 20. und 21 September 2017 verantwortlich zu sein.
Ein Bericht, der im Prozess vor dem Obersten Gericht mit apokalyptischem Beiwerk ausgeschmückt wurde. Heutzutage sitzen die "Jordis" immer noch im Gefängnis in Lledoners, obwohl Amnesty International und eine Arbeitsgruppe der UNO ihre Freilassung forderten. Dasselbe Verfahren wurde angewendet für die Demonstration am 1. Oktober, um das Szenario für eine vermutliche gewalttätige und tumultartige Erhebung zu konstruieren.

Die Jugendlichen von Altsasu

Vor fast 1.300 Tagen wurden die Jugendlichen in Altsasu ins Gefängnis gesetzt. Sie wurden zuerst zu Gefängnisstrafen von bis zu 13 Jahren für Erregung Öffentlichen Ärgernisses mit strafverschärfendem "Missbrauch unter Ausnutzung einer Übermacht und des Hasses" verurteilt. Die Staatsanwaltschaft versuchte sie sogar wegen Terrorismus verurteilen zu lassen. Die Ursache des Ganzen war eine Wirtshausschlägerei mit zwei Beamten der Guardia Civil, die nicht im Dienst waren und die aus der Schlägerei mit verschmutzten Hemden herauskamen. Die Guardia Civil selbst erstellte den Bericht, der dazu führte, dass die Jugendlichen verurteilt wurden, obwohl für die Untersuchung eigentlich die Lokalpolizei zuständig war. Amnisty International unterstellte "einen ideologischen Beweggrund" und Parteilichkeit beim Urteil. Die Jugendlichen befinden sich immer noch im Gefängnis.

Die sieben CDR

Am 23. September des vergangenen Jahres, veranlasste die Audiencia Nacional  auf Grund einer Untersuchung der Guardia Civil die Inhaftierung von 7 Mitgliedern der CDR. Die Berichterstattung der Presse in Madrid war schreckenerregend. "Die CDR planten ein terroristische Attentat in Katalonien am Tag D", titelte die El Mundo auf ihrer Hauptseite. "Torra plante mit den CDR ein Stürmung des Parlaments nach dem 1. Oktober", versicherte ABD. Selbstverständlich kreierten sich nicht nur ein bewaffnete Bande namens ERT, sondern behaupteten auch noch, dass Substanzen für Explosivwaffen - zuerst Goma 2 und danach s termita - bei den Hausdurchsuchungen gefunden wurden. Nach 3 Monaten Haft wurden die 7 Mitglieder der CDR aus der Haft entlassen. Der Richter stellte die objektive Nichtexistenz der Explosivstoffe fest, obwohl die Bescheinigung der Guardia Civil einen konstuierten Bericht über ihre Existenz zeichnete.

Der Fall Egunkaria

Nach einer Untersuchung der Guardia Civil, befahl die Audiencia Nacional die Schließung der baskischen Tageszeitung Euskaldon Egunkara und die Beschlagnahmung von deren Vermögenswerten. Sie wurde beschuldigt Teil eines Unternehmensnetzwerkes der ETA zu sein. Laut Guardia Civil, waren die Verbindungen offensichtlich.  Der Direktor der Zeitung wurde beschuldigt, Teil der terroristischen Bande zu sein. Es brauchte 7 Jahre, dass die 5 Inhaftierten freigesprochen wurden, weil alles nicht glaubhaft war. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte deswegen den spanischen Staat. Warum? Weil die Foltervorwürfe, die Otamendi vorbrachte, nie untersucht wurden.

Tamara Carrasco

Im April 2018, nahm die Guardia Civil ein weiteres Mitglied der CDR (Tamara Carrasco) fest. Ihr wurden Delikte des Terrorismus, Aufstand und Rebellion vorgeworfen, weil sie an Straßensperrungen und Behinderung von Mautstellen in der damaligen Karwoche teilgenommen habe. Während der Durchsuchung fanden sie eine gelbe Pfeife, eine Maske von Jordi Cuixart und ein Flugblatt vom 1-O (1. Oktober, Tag des Unabhängigkeitsreferendums). Nachdem sie durch die Kerker der Audiencia Nacional gegangen war, wurde Tamara Carrasco zu einem Hausarrest (noch vor dem Coronavirus) in Viladecans verpflichtet. Heuchlerisch zog sich die Audiencia Nacional aus dem Fall heraus und übergab dies den normalen Gerichten wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Erst ein Jahr danach durfte Tamara ihren Hausarrest verlassen. Die Staatsanwaltschaft beantragt immer noch eine Strafe von 7 Monaten Gefängnis.

Die Lehrer von Seu und Sant Andreu

Nach dem 1-O, wurden 8 Lehrer von 3 Schulen von La Seu d'Urgell vor Gericht gestellt. Man beschuldigte sie eines vermuteten Deliktes zur Aufstachelung von Hass. Ursprünglich beschuldigte sie ein Dokument der Guardia Civil, dass in ihrer Schule Kinder diskriminiert und belästigt wurden, indem "sie sowohl vom Lehrpersonal wie auch von den Schülern angegangen wurden, weil sie Kinder von Agenten der Guardia Civil und der Sicherheitskräfte des Staates" waren. Es wurde auch berichtet, dass eines dieser Kinder angegriffen wurde. Dasselbe geschah mit 9 Lehrern von Andreu de la Barca mit Hilfe der Presse, die das groß herausstellte. "Die 9 katalanischen Lehrer der Infamie" titelte die Zeitung El Mundo. Die beiden Prozesse wurden letzendlich eingestellt.

Sumario 19/98

Dieser Fall hat als Hauptdarsteller den damaligen Richter der Audiencia Nacional Baltasar Garzón, der als Untersuchungsrichter das Großverfahren 19/98 leitete. Der Richter ordnete die Festnahme von bis zu 76 Personen verschiedener Organisationen an, die dem entsprachen, was von den Medien als der "Umkreis der ETA" bezeichnet wurde. Unter diesen war auch eine Koordinatorin der AEK, die erwachsene Personen in der baskischen Sprache unterrichtete und die Stiftung Joxemi Zumalabade, angeklagt wegen eines Aufrufs, der als Anstiftung zu zivilem Ungehorsam ausgelegt wurde. Die Mitglieder dieser Vereinigungen wurden zu Strafen zwischen 9 und 11 Jahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Das Urteil enthielt komplette Absätze (Fehler eingeschlossen) aus dem Bericht, der von der Guardia Civil und der Nationalpolizei vorgelegt worden war. Es braucht 9 Jahre bis dann das Oberste Gericht alle Mitglieder der Stiftung freisprach und die Strafen der anderen 38 Verurteilten herabsetzte. Einige blieben trotzdem im Gefängnis, obwohl sie freigesprochen worden waren.

Operación Dixan

José María Aznar musste damals die Invasion im Irak rechtfertigen, indem er eine dschihadistische Bedrohung konstruierte. Deswegen setzte die Audiencia Nacional im Januar 2003 eine Operation in Gang, bei der bis zu 23 Personen an verschiedenen Punkten von Barcelona und Girona festgenommen wurden. Sie wurden der Zugehörigkeit zu einer Terrorzelle, Waffenbesitz und Explosivstoffen beschuldigt. Ein Bericht des spanischen Heeres meinte Beweise für den Besitz von hausaltsmäßigem Napalm zu haben. Es stellte sich heraus, dass es sich bei diesen Explosivstoffen nur um Reinigungsmittel handelte. Trotzdem wurde den 6 der Prozess gemacht, nur einer wurde freigesprochen. Die anderen mussten vollständig ihre Strafen absitzen, nach einer Revision beim Obersten Gericht wurden ihre Strafen von 6 auf 9 Jahre erhöhrt. Da es sich um "Terroristen" handelte, mussten sie die Strafe in Isolationshaft verbringen.

Resistencia Galega

Vom Terrorismus der Organisation "Resistencia Galega" gibt es nur Nachrichten in den großen Kommunikationsmedien, in den Berichten der Guardia Civil und der Nationalpolizei sowie in der Audiencia Nacional. Trotzdem gab es dutzende von Festnahmen. Kein einziger der Festgenommenen hat zugegeben, je zu der behaupteten Terrorbande gehört zu haben, auch nicht nachdem sie zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren. Es wurden nie Waffen gefunden. Man konnte ihnen keinen einzigen Angriff nachweisen. Die angebliche Gruppe hat keinerlei Verlautbarungen von sich gegeben. Sogar der Richter der Audiencia Nacional Ramón Sáez Valcárcel stellte deren Existenz in einem Minderheitenvotum in Frage.

Vegan-anarchistischer Terror

Die einschlägig bekannte Richterin Carmen Lamela, leitete die Operation Ice. Sie war gegen die anarchistische und vegane Gruppe Straight Edge gerichtet, die sie des Terrorismus anklagte, weil sie angeblich Bankfilialen angegriffen hätten. Aber wieder wurde kein Bombenmaterial gefunden, sondern nur Rotkohlessenz und Reinigungsmittel. Das einzige Beweismittel im Untersuchungsbericht der Polizei war ein Graffiti mit dem Namen der Gruppe an einer Bankfiliale, die 2 Wochen nach Anbringung  des Graffitis überfallen worden war. Schliesslich drehte man das ganze so hin, dass es um einen Fall von Verherrlichung von Terrorismus ging auf Grund von Twittermeldungen wie "Goku lebt, der Kampf geht fort". Juan Manuel Bustamante 'Nahuel'verbrachte 1 Jahr und 4 Monate im Gefängnis, teilweise in Einzelhaft.

Die Puppenspieler

Nachdem die GC einen polizeilichen Untersuchungsbericht fertigte, in der mehrere Personen Anzeige  wegen des Inhalts eines Theaterstücks von Puppenspielern erstatteten, setzte die Audiencia Nacional die Puppenspieler für 5 Tage in Vorbeugehaft. Dies geschah im Februar 2016 als diese in Madrid ein Theaterstück vorstellten, bei dem ein ironisches Poster, auf dem stand "Gora Alka-ETA" gezeigt wurde. Nur 3 Monate danach lief der Prozess völlig aus dem Ruder. Der Richter stellte das Verfahren ein, in dem er daraus schloss, dass die vier Organe des Staates kritisiert werden sollten. Die Staatsanwaltschaft sah mögliche Delikte zur Verherrlichung des Terrorismus (zwischen 1 und 3 Jahren Gefängnis) und gegen die grundlegenden Freiheitsrecht (zwischen 1 und 4 Jahren Gefängnis)."

Diese miese Methode der Konstruktion von Straftaten, die keine waren, hatte Methode in Spanien den letzten Jahren. Hauptverantwortlich dafür war die Guardia Civil, die Hand in Hand mit einer in der Hand von reaktionären Richtern befindlichen höheren Justiz arbeitete. Wie parteiisch dieses System funktioniert zeigt, dass die neu entstandene und im Abgeordnetenhaus vertretene rechtsextreme Partei Vox ungestraft einen Putsch durch das Militär in Spanien fordern kann. Zudem führt sie genau die Sprache,  die bei Anderen als "Verherrlichung des Terrorismus" ausgelegt wurde.

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