Die tiefe Kluft zwischen Stadt und Land in Rumänien

Die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (ADZ) berichtet an diesem Wochenende:

PSD-Chef Liviu Dragnea hat am Donnerstag ein Wahlkampfspektakel der besonderen Art geboten: Während die 27 EU-Staats- und Regierungschefs in Hermannstadt (Sibiu) über die Zukunft der Union berieten, wetterte Dragnea zeitgleich bei einer Wahlkampfveranstaltung in Jassy/Iași gegen die EU, das Staatsoberhaupt und die Opposition. Er werde es „nicht zulassen“, dass „einige bis zu Landesverrat hin geneigte Europäer“ das Land in „eine Kolonie“ verwandeln und dessen Reichtümer sang- und klanglos ausliefern würden, sagte Dragnea den rund 15.000 Anhängern.

Die Wahlkampfveranstaltung der PSD wurde auch diesmal vom Störfeuer Tausender Protestler durchkreuzt. Die Menschen riefen stundenlang „PSD, die rote Pest“ und „Diebe“, was Parteichef Dragnea prompt veranlasste, die Protestler als „gekaufte Halunken“ zu beschimpfen. Nach der PSD-Wahlkampfveranstaltung zogen die rund 6000 Antiregierungsdemonstranten anschließend in einem Protestmarsch durch die Stadt.

Da Dragnea und seine PSD in den städtischen Bevölkerungen nicht viel Unterstützung hat, wurde der Großteil der 15.000 Anhänger mit Bussen aus der ländlichen Moldau-Region nach Iaşi gekarrt. Hier kam es nun zu diesem Zusammentreffen der Gegendemonstranten mit verarmten und bildungsfernen Bauern, die für den Teil der rumänischen Bevölkerung stehen, der gegen ein paar Euro oder eine Flasche Schnaps auch seine Stimme verkauft,  während eine wohlhabendere und gebildetere städtische Bevölkerung in den Städten sich von einer solchen Wählerkäufer-Politik angeekelt fühlt.

Und trotzdem fiel einigen auf, dass es zu einfach wäre, nur auf diese Dragnea-Anhänger einzuprügeln. Einer der Gegendemonstranten berichtete schockiert:

„N-am văzut în viaţă mea atâta sărăcie adunată la un loc. Ştim cu toţii că în satul românesc se trăieşte că în Evul Mediu, probabil fiecare dintre noi are câte o rudă la ţară, dar când vezi 20.000 de oameni amărâţi, abia atunci realizezi grozăvia, mizeria în care este ţinută toată această suflare de oameni. Pur şi simplu îţi vine să plângi. M-a sunat băiatul cel mare în timpul mitingului, nu înţelegea ce se întâmplă, ce-i cu oamenii ăştia amărâţi care circulau acum în acelaşi autobuz cu el, de unde sunt, de unde au apărut?

Citeste mai mult: adev.ro/pratot
Ich habe bisher keine so konzentriert an einem Platz versammelte Armut erlebt. Wir wissen alle, dass man in den rumänischen Dörfern noch lebt wie im Mittelalter, fast jeder von uns hat Verwandte auf dem Land. Aber wenn ich diese 20.000 Menschen sehe, dann geht mir das ungeheuerliche Elend auf, aus dem das Leben dieser Menschen besteht. Ganz einfach gesagt, mir kommen die Tränen. 
Viele unter den Menschen, denen ich begegnet bin, wussten nicht, warum sie nach Iasi gekommen sind, einige sind schon viele Jahre nicht mehr aus ihrem Dorf herausgekommen. Für sie ist ein Ausflug nach Iasi etwa das, was für viele andere in Rumänien ein Wochenende in Paris oder Wien ist. Andere bekreuzigen sich, wenn sie vor der Situation stehen, dass die Halbe Bier fast 10 Lei kostet.

Es sind erschöpfte, kleine Menschen, die Liviu Dragnea nach Iasi karren liess, um seinen Stolz zu befriedigen. Menschen für die Armut ein Normalzustand geworden ist, aber wenn ihnen die PSD 10 Lei gibt und dazu einen Holzbecher und einen Besen, dann gehen sie zur Wahl. Sie tun das, weil niemand anderes ihnen eine Alternative zur PSD anbietet. Ich gehe nicht davon aus, dass es überhaupt kein Programm des Dialoges mit dem rumänischen Dorf gibt. Aber wir, die anderen, wir verachten sie und im besten Fall ignorieren wir sie. Das ist meiner Ansicht nach ein Fehler, der uns bei jeder Wahl teuer zu stehen bekommt. Auch ich habe bei dieser demütigenden Gegendemonstration teilgenommen, darüber bin ich nicht sehr stolz. Ich habe sie ausgepfiffen, ich habe gegen sie gebrüllt, ich habe ihnen "Schande" zugerufen. Haben sie das verdient? Schwer zu sagen. Ich habe gesehen wie sie gehen, einige mit gesenktem Kopf, einige verzweifelt, weil sie ganz einfach nicht wussten, wie ihnen geschieht, warum die Leute in dieser Halle sie anbrüllen. In den Bildern, eine erniedrigende Demütigung: Das intelligente Rumänien wirft in Verachtung dem schlechten und ungebildeten Rumänien, Geld vor die Füße und diese gehen vor ihnen auf die Knie, um dieses aufzulesen, schrieb Sorin Simion aus Iasi in einem Post auf Facebook.

Soweit der Bericht zum Zusammentreffen der Unterstützer des Herrn Dragnea mit der Welt der aufgeklärten Städter. Menschen, deren Ungebildetheit und Armut von Dragnea und seiner PSD nach alter Bojarenart schamlos für eigene Zwecke ausgenutzt wird, die aber auch von Menschen der anderen Seite nur Verachtung ernten, obwohl sie für ihre Armut und ihre beschränkte Welt nichts können. Die rumänische Gesellschaft hat sie vergessen und so sind sie weiter mit ein paar minderwertigen Bestechungsgeschenken manipulierbar. Es ist gut, dass das jetzt einigen auffällt, vielleicht führt das zu einem Umdenken, bei denen, die die Möglichkeit haben diese Situation zu ändern.

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